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Die Sophienkirche und die unglückliche Königin

Das Innere einer barocken Kirche mit einer barocken Orgel
Juni 2023

Die Hackeschen Höfe sind nicht nur selbst ein prominenter Ort, sie sind auch von illustren Nachbarn und Nachbarinnen umgeben. Eine davon ist die barocke Sophienkirche. Mit ihrer Erbauung verbindet sich die traurige Geschichte ihrer Stifterin.

BUMMELN UND BETEN

Die Hackeschen Höfe verbinden Welten, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Am Hackeschen Markt, vor dem Eingang zur Rosenthaler Straße und noch im ersten Hof herrscht großstädtische Betriebsamkeit. Je weiter man in den Höfe-Kosmos eintaucht, desto ruhiger und grüner wird es. Der Blick fällt über die mit Efeu berankten Mauern der Höfe hinaus auf die schönen alten Bäume zweier Nachbargrundstücke, die der Andacht, der Erinnerung, der Ewigkeit gewidmet sind: Da ist zum einen der ehemalige jüdische Friedhof, der älteste Berlins. In nördlicher Richtung schließen sich die Sophienkirche und ein sie umgebender kleiner Park an. Auch hier befand sich einmal ein Friedhof. Einige Grabdenkmäler bedeutender Persönlichkeiten erinnern noch daran.

Foto oben: das barocke Orgelprospekt im Innern der Sophienkirche © Evelyn Schetterer

Foto rechts: Alte Grabsteine an der Sophienkirche © Z Thomas

SCHÖN UND FROMM

Benannt ist die Sophienkirche nach Sophie Luise von Mecklenburg-Schwerin (1685–1735). Sie war die dritte Gattin von Friedrich I. Das war der brandenburgische Kurfürst, der sich selbst zum preußischen König krönte. Die schöne junge Frau wurde mit dem alternden Monarchen verheiratet, um die Thronfolge durch einen weiteren männlichen Nachkommen zu sichern. Die Ehe blieb jedoch kinderlos.

Sophie Luise hing einer besonders frommen, der lutherischen, Richtung des Protestantismus an.  Sie war von missionarischem Eifer beseelt. Als die Bewohner der Spandauer Vorstadt nach einer eigenen Pfarrkirche des gleichen Bekenntnisses verlangten, unterstützte die Königin das Vorhaben mit einem beträchtlichen Betrag aus ihrer Privatschatulle. So wurde sie zur Stifterin der Sophienkirche.


Bild: Dieses Gemälde von Sophie Luise von Mecklenburg-Schwerin ist in der Sophienkirche zu sehen.

DIE SPANDAUER VORSTADT

Das Gebiet der Spandauer Vorstadt befand sich zu dieser Zeit außerhalb der Stadtmauern – vor dem Tor, das man passieren musste, um nach Spandau zu gelangen. Doch hier hatte sich schon eine große Zahl von Menschen angesiedelt. Und die wollten nicht mehr so weit bis zur nächsten Kirche – die befand sich in der Nähe des heutigen Alexanderplatzes. Ein Teil des Grundstücks für die neue Kirche wurde der Gemeinde von der jüdischen Gemeinde geschenkt. Die hatte im 17. Jahrhundert  an der Oranienburger Straße ihren Friedhof eingerichtet. In der Schenkungsurkunde versprachen sich die beiden Gemeinden ewige gute Nachbarschaft.

DIE UNERWÜNSCHTE KÖNIGIN

Sophie Luise fällt bei Hofe zunehmend in Ungnade und ihrer Umgebung mit religiösem Fanatismus auf die Nerven. Intrigante Hofschranzen machen ihr das Leben schwer. Die Königin wird depressiv und schließlich wahnsinnig. Als sie aufgrund einer Schnittverletzung blutüberströmt nachts durchs Stadtschloss irrt, hält ihr schwerkranker Mann sie für eine Todesbotin. Friedrich trennt sich von ihr und verfrachtet sie auf einen Landsitz. Als er im Jahr 1713 stirbt, schiebt sein Nachfolger Friedrich Wilhelm I. die ungeliebte Stiefmutter sogar zu ihrer Familie nach Schwerin ab. Im selben Jahr wird die Kirche, deren Bau Sophie Luise gefördert hatte, eingeweiht. Die Königin wird nicht eingeladen. Die Kirche wird auch nicht, wie ursprünglich vorgesehen, nach ihr benannt. Stattdessen erhält sie den Namen Spandauische Kirche.


Nach Friedrich Wilhelms Tod revidiert sein Sohn und Nachfolger Friedrich II. die Entscheidung des Vaters, den er hasste. Er benennt die Kirche in Sophienkirche um. Und so heißt sie bis heute.

ein brarocker Kirchturm

BAROCK UND BIENEN

Erst rund zwanzig Jahre nach der Einweihung wird der schlanke 69 Meter hohe Turm errichtet, der einzige erhaltene barocke Kirchturm in Berlin.

Zu besonderen Gelegenheiten bietet der Förderverein der Gemeinde Führungen an, bei denen man auf der Aussichtsplattform einen einzigartigen Blick über die Dächer des Berliner Zentrums genießen kann. Dabei muss man sich vor den Bewohnern eines dort eingerichteten Bienenstocks in Acht nehmen. Der köstliche Honig kann in einem Laden in der Nähe erworben werden.


Foto: Glocken im Turm der Sophienkirche

HÄUSERKAMPF

In den Jahren 1891/1892 wurde das Kircheninnere im neobarocken Stil komplett umgestaltet. Vom ursprünglichen Kirchenschiff blieb nur das nackte Mauerwerk erhalten. Aus der Barockzeit bis heute erhalten geblieben sind die Kanzel, der Taufstein und das Orgel-Gehäuse. Anfang des 20. Jahrhunderts errichtete die Sophiengemeinde zu beiden Seiten des Kirchenvorplatzes ein Ensemble aus fünfgeschossigen Wohnhäusern – ebenfalls im neobarocken Stil.

Die Häuser sind bis heute im Besitz der Gemeinde. Die Fassaden sind eine Sehenswürdigkeit: Ein Teil von ihnen ist bis heute übersät von Einschusslöchern vom Häuserkampf im April 1945. Als kürzlich mit einer Fassadensanierung begonnen wurde, waren die Mitte-Fremdenführer alarmiert. Sie fürchteten, einen festen Bestandteil ihrer Touren einzubüßen. Doch ein großer Teil der Einschusslöcher bleibt als Zeugnis eines schrecklichen Kapitels der Berliner Geschichte erhalten und wird sogar denkmalgerecht konserviert.


Foto: Einschusslöcher auf der Fassade eines Wohnhauses an der Sophienkirche

DIE PASTORIN

Heute gehört die Sophienkirche mit vier anderen Kirchen zur Gemeinde am Weinberg und wird seit 2016 von der Pastorin Dr. Christine Schlund betreut. Wir treffen Frau Schlund an einem Nachmittag in der Sophienkirche. Sie musste kurzfristig einspringen, um die „Offene Kirche” zu bewachen. Die Gemeinde ist stolz darauf, die Kirche täglich zwischen 14 und 18 Uhr für Besucher zu öffnen. Üblicherweise stellen sich dafür ehrenamtliche Mitglieder zur Verfügung.


Foto: Dr. Christine Schlund, Pastorin der „Gemeinde am Weinberg” am Eingang zur Sophienkirche

JÜDISCHE NACHBARSCHAFT

Als Besonderheit der Gemeinde hebt die Pastorin ihre stark jüdisch geprägte Nachbarschaft hervor. Schon zu DDR-Zeiten gründete ein Pfarrer der Sophienkirche den bis heute bestehenden Arbeitskreis Judentum und Christentum. Seit den 1990er-Jahren wurden rund um die Sophienkirche viele jüdische Einrichtungen wieder in Betrieb genommen, gleich nebenan zum Beispiel das jüdische Gymnasium. Unter den Schülern sind auch Mitglieder der Kirchengemeinde. Ein fester Bestandteil des Gemeindelebens ist jährlich am 9. November eine Gedenkveranstaltung und im Anschluss ein schweigender Gang durch die Nachbarschaft zur Erinnerung an den Pogrom von 1938. „Die ist immer fast so gut besucht wie an Weihnachten”, berichtet Pastorin Schlund.


Foto: Eingangsgebäude der ehemaligen Neue Synagoge in der Oranienburgerstraße © Jana Blechschmidt

EINE BESONDERE GEMEINDE

Spannend findet Frau Schlund die zentrale Lage der Kirche, die aber trotzdem nicht hauptsächlich von Touristen besucht wird. Denn die Sophienkirche liegt innerhalb einer lebendigen Nachbarschaft. In den letzten Jahrzehnten spülten verschiedene Zuzugswellen ganz unterschiedliche Menschen in den Kiez. Und so kommt es, dass Schlund sich über eine verhältnismäßig junge, engagierte und vielfältige Gemeinde freuen kann. In der gemeindeeigenen Kita spielen Kinder zwischen den Grabsteinen des ehemaligen Friedhofs Verstecken, in diesem Jahr gibt es rund 100 Konfirmandinnen und Konfirmanden, ebenso viele Kinder nehmen an der Sommerfreizeit teil

Und die Hackeschen Höfe? Auch hier leben Gemeindemitglieder, weiß Pastorin Schlund. Sie durchquert die Höfe fast täglich, nimmt hier gerne einen Kaffee ein und kauft sich hin und wieder ein Stück bei den Blutsgeschwistern oder ein Mitbringsel bei Eat Berlin.

Foto: Die Sophienkirche ist täglich zwischen 14 und 18 Uhr für Besucher geöffnet.