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Jugendstil-Architektur in Berlin

Landgericht Littenstraße, Eingangshalle © ako
Landgericht Littenstraße, Eingangshalle © ako
Oktober 2024

Der erste Hof der Hackeschen Höfe ist ein bedeutendes Werk des Jugendstils in Berlin – aber nicht das einzige. Wir erklären, was die Jugendstilkünstler wollten und wo du in Berlin Jugendstil-Architektur entdecken kannst.

Der Jugendstil war eine internationale Kunstbewegung, die ihre Blütezeit zwischen 1890 und 1910 erlebte. Sie grenzte sich vom rückwärtsgewandten und überladenen Historismus des 19. Jahrhunderts ab und wollte stattdessen einen neuen, zeitgemäßen Stil schaffen, schlichter, aber trotzdem schön. In Reaktion auf die als seelenlos empfundene industrielle Massenproduktion wollten die Künstler des Jugendstils Kunst und Leben miteinander verschmelzen, alltägliche Gegenstände künstlerisch neu gestalten. Kunst sollte auch im Alltag stattfinden. 

Bauen mit Schwung: die Architektur des Jugendstils

Die Jugendstil-Architektur wollte nicht länger Baustile vergangener Epochen nachahmen, so wie es Ende des 19. Jahrhunderts in Mode war. Der Jugendstil vermied Symmetrie, gerade Linien und rechte Winkel. Er wollte sich stattdessen von der Natur inspirieren lassen. Typisch waren organisch geschwungene Linien, fließende Formen und florale Ornamente. Aber es gab unterschiedliche Strömungen und so finden sich auch geometrische, minimalistische und moderne Elemente.

Die Jugendstil-Architekten nutzten damals neue Materialien wie Glas, Stahl und Eisen für ihre innovativen Gestaltungen. Glasfassaden, elegante Metallverzierungen und filigrane Fensterkonstruktionen waren charakteristische Merkmale des Jugendstils. Gebäude sollten funktional sein und ihre Funktion in der Gestaltung widerspiegeln. Kunst sollte sich harmonisch in die Architektur integrieren. Ornamente und kunstvolle Details wurden nicht nur als Dekoration, sondern als integraler Bestandteil der Bauwerke verstanden.

Dieser schwungvolle Durchgang ist im Restaurant Hackescher Hof erhalten geblieben.
Dieser schwungvolle Durchgang ist im Restaurant Hackescher Hof erhalten geblieben.

Der Jugendstil in Berlin

In der Reichshauptstadt Berlin dominierte Ende des 19. Jahrhunderts der Prunk der Kaiserzeit. Die neue Stilrichtung konnte sich hier nicht so stark durchsetzen wie beispielsweise in Wien, Riga oder Prag. Doch auch hier entstanden bedeutende Beispiele von Jugendstil-Architektur. Der Berliner Jugendstil war zurückhaltender, weniger verspielt und ornamentaler als anderswo. Die Zweckmäßigkeit stand im Vordergrund. Einige Gebäude aus dieser Epoche wurden im Zweiten Weltkrieg zerstört – andere eindrucksvolle Bauwerke sind bis heute erhalten geblieben, allen voran der erste Hof der Hackeschen Höfe. 

Türklinke in der Berlner Gutzkowstraße 7 © Szczebrzeszynski
Türklinke in der Berlner Gutzkowstraße 7 © Szczebrzeszynski

Die Hackeschen Höfe

Ab 1905 wurde am Hackeschen Markt ein großes zusammenhängendes Hofareal mit einer gemischten Nutzung aus Wohnen, Gewerbe und Gastronomie errichtet: die Hackeschen Höfe. Um im boomenden Berlin der Jahrhundertwende die Aufmerksamkeit von Mietern und Kunden zu erregen und Besucher in die Vergnügungsstätten im ersten Hof zu locken, sollten dessen Fassaden modern und aufsehenerregend gestaltet werden. Damit kam der Selfmade-Architekt, Designer und Kunsttheoretiker August Endell ins Spiel.

Säulenkapitell im Saal des Chamäleon-Theaters
Säulenkapitell im Saal des Chamäleon-Theaters

August Endell

August Endell (1871–1925) war ein Allroundtalent. Der Autodidakt entwarf Möbel, Wohnungen und Gebäude. Er machte sich als Kunsttheoretiker einen Namen und war Mitherausgeber der Berliner Jugendstil-Zeitschrift Pan.

Mit seiner Gestaltung des Münchener Fotoateliers „Elvira” sorgte er 1897/1898 für Furore: Das großflächige, an einen Drachen erinnernde Ornament an der Fassade gilt als erstes abstraktes Kunstwerk überhaupt. Ein Berliner Baurat sprach mit Bezug zu Endell vom „Dynamit der Anarchisten”.

Von Endell gestaltete Fassade des Fotoateliers „Elvira”, coloriert von: neublasser
Von Endell gestaltete Fassade des Fotoateliers „Elvira”, coloriert von: neublasser

Endell und der erste Hof

Im ersten Hof der Hackeschen Höfe schuf Endell 1906 ein einzigartiges Kunstwerk. Durch verschiedenfarbig glasierte Backsteine und 40 unterschiedliche Fensterformen werden die Umrisse der Gebäude aufgebrochen, die Fassade gewinnt an Plastizität, rhythmisch-wellenförmige Muster versetzen sie in Bewegung. Ein Hof wird zum Erlebnis.

Endell gestaltete im ersten Hof nicht nur die Fassaden, sondern auch die Treppenhäuser, zwei Festsäle im Quergebäude (heute das Chamäleon-Theater und das Kino), einen kleinen Festsaal im Parterre (heute der Flagshipstore der Uhrenmanufaktur Askania), ein Restaurant am Eingang von der Rosenthaler Straße (heute Restaurant Hackescher Hof) sowie das Restaurant im Quergebäude (heute das Restaurant Oxymoron). Der Saal des Chamäleon-Theaters, das Treppenhaus zu Theater und Kino und der kleine Festsaal wurden um die Jahrtausendwende originalgetreu wiederhergestellt. Endell prägt durch seine Handschrift das Image der Höfe bis heute.

Weitere Bauten von August Endell in Berlin

In den Jahren 1906/1907 wurde nach Plänen Endells das Haus am Steinplatz, Uhlandstraße 197 in Berlin-Charlottenburg errichtet. Ursprünglich als Mietshaus geplant, wurde es später als Hotel und als Seniorenheim genutzt. Nach einer Zeit des Leerstands und Verfalls wurde es restauriert und 2013 wieder als Hotel eröffnet.

Auch hier schuf Endell durch abgerundete Fensterformen sowie florale und geometrische Stuckdekorationen eine lebendige und bewegte Fassade. Besonders die kunstvolle Gestaltung des Eingangs und des darüber liegenden Balkons fällt ins Auge. Die organischen, an Naturmotive erinnernden Dekorationen sind typisch für Endell und den Jugendstil. Endell wollte jedoch keine gegenständlichen Assoziationen erwecken, keine konkreten Pflanzen oder Tiere abbilden.

1907 beauftragte der Schuhhersteller Salamander Endell mit der Ausgestaltung seiner Läden. Das im Jahr 1910/1911 in der Berliner Potsdamer Straße von Endell gestaltete Schuhhaus ist heute leider nicht mehr erhalten.

1911/1912 wurde nach Endells Plänen in Zusammenarbeit mit einem Architekten die Trabrennbahn in Berlin-Mariendorf gebaut. Endell prägte das Erscheinungsbild der im Jugendstil erbauten Gebäude. Im Zweiten Weltkrieg wurden das Teehaus, ein Pavillon mit geschwungener Terrasse und das Tribünenhaus zerstört. Eine von Endell gestaltete Tribüne blieb jedoch erhalten und steht heute unter Denkmalschutz.

Das Haus am Steinplatz beherbergt heute ein Hotel der Marriott-Kette © marriott.com
Das Haus am Steinplatz beherbergt heute ein Hotel der Marriott-Kette © marriott.com

Erstlingswerk eines Theater-Architekten: Hebbel-Theater

Das in den Jahren 1907 und 1908 errichtete Hebbel-Theater war das Erstlingswerk des Architekten Oskar Kaufmann. Der einzigartige Jugendstil-Bau begründete seinen Ruhm als Theaterbaumeister. Alleine in Berlin wurden später noch sechs weitere Theater nach seinen Plänen errichtet.


Das zur Verfügung stehende Grundstück ermöglichte nur einen schmalen Bau. Kaufmann betonte die Vertikale durch Natursteinblöcke, die fast bis zum Giebel reichen. Die konzentrierte und geschlossene Gestaltung der Hauptfassade war damals neuartig. Kaufmann verzichtete auf prunkvollen Bauschmuck und jugendstil-typische Ornamente, die Ausschmückung der Fassaden ist sehr reduziert.


Oskar Kaufmann hatte in seiner Anfangszeit zunächst als Raumausstatter gearbeitet und legte demnach großen Wert auf die Gestaltung der Innenräume. Eingangshalle, Garderobenräume und die Umgänge sind mit Holz ausgekleidet. Auch der Zuschauerraum ist durchgängig holzgetäfelt, dadurch entsteht ein einheitlicher Raumeindruck. Typisch für Kaufmann und den Jugendstil sind die geschwungenen Ränge des Zuschauerraums.


Seit 2003 ist das Hebbel-Theater eine der Spielstätten des Kreuzberger „HAU”-Theaters.

© Schlesinger
© Schlesinger
Aus Barock wird Jugendstil: Landgericht Littenstraße

Das ehemalige Königliche Land- und Amtsgericht in der Littenstraße in der Nähe des Alexanderplatzes wurde zwischen 1896 und 1904 fertiggestellt. Es war seinerzeit eines der größten Gebäude Berlins und, wie andere Justizpaläste dieser Zeit, im Stil des Neobarock geplant. Ab 1900 leitete der Architekt Otto Schmalz die Bauausführung und veränderte das Erscheinungsbild deutlich in Richtung Jugendstil – für staatliche Bauten sehr ungewöhnlich.

Der architektonische Höhepunkt des Gebäudes ist die über 30 Meter hohe Eingangshalle (siehe Foto oben auf der Seite). Vor allem der dynamisch bewegte Gesamteindruck der Halle mit den geschwungenen Zwillingswendeltreppen, die Gestaltung der Geländer und die goldenen Schmuckelemente der Decke sind vom Jugendstil geprägt. Die Halle wirkt schwungvoll und verspielt.

Das Gebäude wurde im Zweiten Weltkrieg beschädigt, ein Teil zu DDR-Zeiten abgerissen. Inzwischen steht es unter Denkmalschutz und wurde aufwendig rekonstruiert.

Märchenschloss in Zehlendorf: Bahnhof Mexikoplatz

Einer der schönsten Bahnhöfe Berlins und ein hervorragendes Beispiel für Jugendstil-Architektur befindet sich fern der Innenstadt am Mexikoplatz in Zehlendorf. Das Gebäude mit seiner markanten Kuppel wurde zwischen 1902 und 1904 vom Architekturbüro Hart & Lesser errichtet. Hier wurden nicht nur Jugendstildekorationen am Gebäude angebracht, sondern der Jugendstil prägt mit schwungvollen Rundungen den Bau selbst. Große Fenster sorgen für natürliches Licht im Innenraum. Durch die Kuppel, die kleinen Türme und Gauben im Dach wirkt das Gebäude verspielt, fast wie ein kleines Märchenschloss. Diesen Eindruck unterstützte bis in die fünfziger Jahre ein filigraner Wasserturm, der den Bahnhof flankierte. Besonders beeindruckend und „jugendstilig” ist die Eingangshalle mit einer Glaskuppel.

Nachdem der Bahnhof und die von der DDR-Reichsbahn betriebene S-Bahnlinie zwischen 1980 und 1984 stillgelegt worden waren, wurde der Bahnhof restauriert und 1985 wiedereröffnet. Er steht unter Denkmalschutz.

1904 unter dem Namen Zehlendorf-Beerenstraße eröffnet: S-Bahnhof Mexikoplatz © a. savin
1904 unter dem Namen Zehlendorf-Beerenstraße eröffnet: S-Bahnhof Mexikoplatz © a. savin
Jugendstil im Museum

Willst du mehr Jugendstil in Berlin sehen? Das Bröhan-Museum in Berlin-Charlottenburg verfügt über eine bedeutende Jugendstil-Sammlung und vermittelt einen repräsentativen Überblick über die Kunst dieser Epoche. Das Haus selbst zählt jedoch nicht zur Jugendstil-Architektur, es wurde wesentlich früher im klassizistischen Stil als Kaserne für das gegenüberliegende Schloss Charlottenburg errichtet.